5. Etappe GR 20, Corse, France

5. Etappe  Refuge Tighjettu - Castel de Vergio



 wanderung

11.06.2012
18,6 km
5:10 h
1.484 m up / 1.753 m down


7:51 Uhr

Nach einer, wieder einmal schlaflosen Nacht stehe ich ziemlich gerädert, missmutig und motivationslos auf. Es ist bewölkt, hat die halbe Nacht geregnet, so arg gewindet, dass ich sogar nochmal raus musste um das Zelt wieder auf zu richten. Es ist direkt über mir zusammengeklappt. Selbst schuld! Wie oft habe ich mich jetzt schon darüber unterhalten wie plötzlich das Wetter hier umschlagen kann. Der Wind hat mir einfach die Heringe aus dem steinig-sandigen Boden gerissen. Das hat man nun davon, wenn man sich den schönsten, aber auch exponiertesten Platz aussucht und dort sein Zelt genau mitten in den Wind stellt. Mit zwei zusätzlichen Abspannleinen und ein paar großen Steinen auf die Heringe gelegt, fühle ich mich gerüstet für den größten Sturm. Was soll's auch diese Erfahrung gehört dazu. Es ist immer noch bewölkt, ich packe mein Zeug zusammen und marschiere völlig lustlos los.


Wie hatte Karl-Heinz von der deutschen Truppe gestern gesagt: "Jetzt kommen die Lümmel-Etappen". Dieser Tag beginnt irgendwie einfach lustlos und langweilig. Dies ist eigentlich die Bade-Etappe, man geht ständig neben den Gumpen her, die Löcher, die das herabstürzende Gebirgswasser in den Fels gespült hat. Sie sehen aus wie Whirlpools und laden alle paar hundert Meter zum gemütlichen Bad ein. Leider haben heute Petrus und Steven frei und das Wetter kann sich nicht so recht selbst entscheiden, was es will. Die Sonne zeigt sich nur kurz, die Wolken wissen nicht so recht wohin, kurzum kein Badewetter in Sicht.


Nach ca. einer halben Stunde Gehzeit erreiche ich die Bergerie de Ballone, eine kleine Alm mitten im Nichts. Die Tochter des Bauern/Hirten, sie wischt gerade draußen die Tische ab, hat genau so schiefe Zähne wie das korsische Supermodel Laetitia Casta, sonst aber in Sachen Schönheit nichts mit ihrer Landesgenossin zu tun. Ich gehe hinein, frage den Bauern höflich auf französisch ob er denn Obst und Käse verkauft. "Nur Käse, keine Früchte" antwortet dieser kurz angebunden. Ich sage: "Dann bitte Käse, ein Bounty und ein Twix!" 13 EUR will er dafür, die ich gerne bezahle. Das Bounty verschlinge ich direkt vor der Türe, Laetitia sagt irgendwas zu mir, aber ich verstehe sie nicht, sie wiederholt, ich antworte, dass sie bitte langsam sprechen soll, da mein Französisch nicht so wahnsinnig gut ist. Sie antwortet auf englisch "Oh, i thought you were french!" Danke, Laetitia, das geht runter wie Öl, dann ist mein Französisch doch nicht so schlecht. Ein paar hundert Meter weiter sehe ich ein wunderschönes Plätzchen, ein Sessel in Fels gehauen mit Blickrichtung in das Tal, welches mir gestern abend von oben schon aufgefallen war.


Ich setze mich, es ist ja "Lümmel-Etappe" und mache mich über den Käse her. Da ich vor einer halben Stunde meinen Gürtel nachziehen musste, ich muss von hinten mittlerweile auf 15 Jahre geschätzt werden, so weit unterm Hintern hängt die Hose, kann ich mich ruhigen Gewissens über den Käse her machen. Der Käse, mein Taschenmesser und ich verschmelzen zu einen Universum und vergessen die Zeit. Das gute halbe Kilo Käse stinkt fürchterlich schmeckt aber hervorragend, genau so wie ich das erwartet habe. Und auch das ist eben Korsika, alles ein bisschen anders.

13:17 Uhr

Nachdem der Käse mich gut voran gebracht hat, komme ich am Bocca Foggiale auf 1.950m an. Über den Kamm bläst der Wind derart stark und giftig, dass ich mich ganz eng in meine Regenjacke wickeln muss. Es bläst mich fast um. Den Grat überwunden trifft mich endgültig die volle Wucht des Windes, auf einen Schlag ist es saukalt. Ich blicke auf das Refuge di Ciottulu di i Mori auf 2.000m, hier wollte ich evtl. campieren und den 2.500m hohen Paglia Orba, genannt das Matterhorn Korsikas besteigen.

Leider hält mich der Wind und auch dicke schwarze Regenwolken, die den Gipfel bereits halb umschlungen haben, davon ab. Ich gehe zum Refuge treffe dort ein Pärchen das ich schon die ganze Zeit über immer wieder sehe. Er scheint sich recht gut auszukennen und ich frage ihn, wie lange es von hier zum Castel du Vergio ist. Er meinte nur, das Schlimmste hätte ich hinter mir es gehe nur leicht bergab, so ca. 2h. Die glaube ich ihm nicht, gehe aber trotzdem los. Der korsische Käse gibt mir einen Schub und ich freue mich derart über einen Weg, den man auch so bezeichnen kann. Endlich mal einigermaßen ein Weg der als solcher zu erkennen ist, kaum Felsen, "kaum" Steine im Weg, so dass man einigermaßen einen Fuß vor den anderen setzten kann, ohne Angst haben zu müssen gleich zu stürzen. Tatsächlich war es bisher so, dass selten tatsächlich ein Weg vorhanden war. Wenn da nicht immer wieder irgendwo die weiss/rote Markierung an irgendeinem Felsen, Stein, oder Baum gemalt wäre könnte man den "Weg" gar nicht finden. Die Tatsache, dass ein bequemer Weg vorhanden ist und der korsische Käse versetzen mich in eine Trance-Zustand. Vielleicht trägt die tagelange Schlaflosigkeit auch dazu bei. Auf jeden Fall renne ich wie ein geistesgestörter den Berg hinab, ich kann einfach nicht anders, ich muss rennen. Mein Blick konzentriert sich nur noch, wie eine Art Tunnelblick auf einen Radius von ca. 1,5m vor meinen Füssen. Alles geht irgendwie vollautomatisch, ich komme mir vor als wäre ich gar nicht dabei, als würde ich über mir fliegen und mir selbst dabei zuschauen, als würde ich ein Videospiel spielen, bei dem man nicht mit den Füssen so auftreten darf, dass die Spielfigur abstürzt.

Wir sind in Level 22, oder so. Ich habe bereits mindestens 15 meiner Wanderkollegen und mindestens nochmal 10 Tageswanderer sprich Touristen überholt. Ich renne an denen vorbei, wie die Typen, über die ich mich sonst immer wundere. Jetzt weiß ich, dass das eine Art Krankheit ist, die einen einfach nur überfällt. Nach drei Stunden komme ich in Castel di Vergio an und habe dabei entgegen der Aussage des Typen von vorhin sogar eine Stunde eingespart. Seine 2 Stunden waren das was man eine grobe Schätzung nennt, leider voll daneben, ein Wegweiser sagt 4 h. Zu meiner Freude gibt es in Castel de Vergio einen echten Campingplatz, ebenfalls für 6 EUR aber dafür: einen kleinen, nein winzigen aber immerhin einen Supermarkt, eine richtige sanitäre Anlage mit normalen, also Sitz-WC, mit WARMER Dusche, richtig viel Platz fürs Zelt und einem Boden, der freudig die Heringe aufnimmt, sogar die der Quechua-Camper. Auf diesem Platz schlagen alle, die die letzten Tage gegenseitig aneinander vorbei gelaufen, geklettert oder gecampt sind wie in einer großen Gemeinde nebeneinander die Zelte auf. Da die Sonne die letzen Tage etwas schüchtern war, drohe ich Gefahr zu laufen, keinen Strom mehr zu haben. Die sanitären Anlagen haben jedoch Steckdosen womit ich auf dieser Tour nicht gerechnet habe. Deshalb habe ich auch kein Netzladegerät dabei. Die hübsche blonde Dänin von nebenan leiht mir jedoch gerne ihr Ladekabel und so kann ich morgen wieder mit einem nahezu vollen Akku starten. Als ich ihr als Dankeschön eine wasserdichte iPhone-Hülle (Aloksak, eine bessere Ziplock-Tüte von Globetrotter 3 St. für 'n paar EUR) schenke, ernte ich ein Lächeln und die besten Wünsche.

Danach sitze ich noch mit ein paar Franzosen beim Abendessen zusammen, die mir erklären, dass Quechua eine Hausmarke von Decathlon sei, glauben sie zumindest. Da ich ja nun wieder Strom habe kann ich noch das Wetter checken, entgegen aller bisherigen Vorhersagen stehen die Zeichen jetzt auf Sonne, für die nächsten 7 Tage :-)

Und zu guter Letzt nutze ich den Stromschub und das Internet-Paket um zu schauen was Apple heute Abend alles aus dem Hut zieht. Das kann ja wohl nicht sein, dass ich nicht auf dem Stand bin, was Apple betrifft!

 

20:49 Uhr

Hier mal ein Gruss an Alle!

Es freut mich, dass es euch Spass macht meine Berichte zu lesen. Da es schwierig, akkuzehrend, Internet-Pass-belastend und innerhalb der App welche ich nutze, auf die einzelnen Beiträge eurerseits einzugehen ist, einfach mal stellvertretend ein Dankeschön für Eure Beteiligung! Es tut gut auch was von "dahoam" zu hören, und nicht ganz allein hier in den korsischen Bergen zu wandern.

Zu Belohnung gibt's das Foto vom Sundowner von gestern Abend. Heute Nacht hat's geregnet, aber der Wetterbericht sagt für die nächsten 7 Tage Sonne und keinen Regen voraus :-), schade nur, dass die Badetour eigentlich gestern war...

Danke und macht weiter so!

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