4. Etappe Refuge d'Asco Stagnu - Refuge Tighjettu
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Was für ein Tag, was für eine Etappe!
Mir scheint heute hat sich Petrus frei genommen um seine Job für einen Tag an Steven Spielberg abzugeben. Der hat das Zepter gleich in die Hand genommen und alles an Dramatik in den Tag reingelegt was er so zu bieten hat. Ein Temperatursturz von gestern auf heute von 18°C, die ganze Nacht hat der Wind gepfiffen als wollte er mich vorwarnen. Mir schlottern die Knie auf Grund der unerwarteten Kälte, ich ziehe alles an, was ich an Klamotten dabei habe. Als ich um 5:30 Uhr aus dem Zelt schaue lugt über dem Asco-Tal gerade die Sonne über die einzelnen Gipfel. Ich drehe mich um und schaue mitten in eine dunkle graue Wolkenwand. Leider ist das die Richtung, in die ich heute muss. Die Wolken sehen recht bedrohlich aus. Egal, ich marschiere los, wie Don Quichote den Wolken entgegen. Im Gegensatz zu den vorigen Tagen ein leichter, fast schon sanfter Anstieg. Steven weiß, dass ich mich gut fühle und bläst mir einen eisigen kräftigen Wind mitten ins Gesicht. Das macht den Aufstieg nicht leichter und ich frage mich sowieso, wie das geht, dass ich vollen Gegenwind habe, obwohl sich vor mir eine riesige Felswand auftürmt. Naja, Augen zu und durch denke ich eingepackt mit langen Hosenbeinen, meiner Softshell-Weste, dem Fleece drüber und zu allem noch die Regenjacke gegen den Wind übergezogen. 2h 30min marschiere ich stramm den Berg hinauf, dem Wind entgegen immer besorgt das Wetter beobachtend. Die Cirque de la Solitude rückt näher, die Schlüsselstelle. Nach weiteren 20min stehe ich plötzlich auf einem Grat, vor mir stürzt der Fels so dramatisch ab, dass ich kaum die Ketten erkenne. Ich bin da, jetzt gehts los! Allerdings scheinen sich an den Schlüsselstellen immer alle zu treffen. Ein riesiger Stau ist vor mir, war ja klar, den ganzen Morgen keine Menschenseele gesehen, hier stehen sie alle. Der Ausblick ist gigantisch, wieder einmal diese korsische Wildheit, die man einfach erlebt haben muss.
Los gehts, gehen wir es an!
Erstaunlicherweise sind all die Qechua-Franzosen, die die letzen Tage so stolz an mir vorbei marschiert sind, keine besonders guten Kletterer. Ich trau mich erst nicht, doch als mich der erste passieren lässt kann ich mich nicht mehr halten, ich geb Gas. Vorbei an allen Quechuas, ohne die Chaines, die Ketten zu benutzen klettere ich an allen Rucksäcken vorbei über den Fels, der gar nicht so glatt ist. Ich finde viele Griffe und komme gut voran. Ich bin selbst so überrascht, dass ich mich ermahnen muss aufzupassen, denn hier wird einem nicht ein einziger Fehltritt verziehen. Ich konzentriere mich, ziehe an allen vorbei und bin als erster durch. Was für ein Gefühl. Dass es auf der anderen Seite genau so wieder hoch geht juckt mich nicht. Erstaunlich, was das Adrenalin alles bewirken kann. Fast mühelos gelingt mir der Aufstieg ich sitze ganz oben auf einem Stein, ein Stein unter vielen Milliarden von Steinen hier. Ich blicke über die korsischen Berge, ein wiedermal atemberaubendes Panorama, bin wieder einmal so überwältigt, dass es mir fast die Tränen in die Augen treibt, so unglaublich ist es hier. Ich sitze hier auf meinem Stein auf 2.200m über dem Meer, und auch Steven hat eingesehen, dieser Tag ist perfekt, da kann auch er nichts mehr verbessern, er schickt die Sonne in den Himmel und macht Feierabend. Nun folgen noch ein paar hundert Meter steiler Abstieg und ich bin im Refuge Tighjettu!
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